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Nachwelt 2018 - Youtube​-​Gesamtausgabe / H​ö​rbuch

by Georg Bruckmann Hörbuch

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kina eine der besten endZeit scenarien neben marc elsberg & co..total empfehlenswert
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Leseprobe: Sie hatten das Mädchen an einem alten Motorradwrack angebunden, etwa fünfzig Meter von ihrem Zeltlager entfernt. Die Degenerierten standen in einem respektvollen Abstand im Halbkreis um ihre Opfergabe herum. Es mussten so um die fünfzehn der zerfledderten Gestalten sein und weiter hinten, hinter den Bewaffneten, hockten noch mehr Menschen auf dem Boden. Gefangene. Das schmutzig-blonde Haar des Mädchens hing ihm ins Gesicht und den Kopf hatte es gesenkt. Es hatte aufgegeben, sich zu wehren. Zwei der Degenerierten hatten es, unter dem rhythmischen Singsang der anderen zu dem Motorrad gezerrt und es dort festgemacht. Da hatte es sich noch gewehrt. Auch nachdem man es angebunden hatte, hatte es noch eine Weile geschrien und an den Stricken gezerrt, aber jetzt schien es aufgegeben zu haben und ließ die verheulten Augen ängstlich hin und her schweifen. Es wartete. Sie alle warteten. Sie warteten auf die Abenddämmerung. Auf die Dämmerung, mit der die Hunde kamen. Ich blickte hoch zum Himmel. Die Sonne befand sich bereits seit einer Weile auf dem Rückzug und bald würde sie ganz untergegangen sein. Ich überprüfte meine Ausrüstung. Für die Armbrust hatte ich nur noch vier Bolzen, und dann war da noch die Machete, die ich vor zwei Tagen aus einem Baumarkt mitgenommen hatte. An meinem Gürtel hatte ich noch eines dieser billigen Survival-Messer mit Kompass und Angelzeug im hohlen Plastikgriff, aber das Ding konnte man schwerlich als Waffe bezeichnen. Resigniert atmete ich aus. Nein, ich würde nichts für das Mädchen tun können. Selbst wenn es mir gelingen würde, das Mädchen zu befreien - was sollte ich denn mit dem Kind anfangen? Ich konnte es nicht mitnehmen und alleine würde es früher oder später ohnehin bald verrecken. Ich traf meine Entscheidung, ließ mich hinter das ausgebrannte Auto sinken, über dessen Kühlerhaube ich gespäht hatte und spannte die Armbrust. Während ich den Bolzen einlegte, dachte ich nach. Ich musste warten, bis die Hunde wirklich aus den Kellern und Häuserschluchten herauskämen, um sich das Mädchen zu holen und so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Falls die Degenerierten meinen Schuss bemerken sollten, war es mehr als wahrscheinlich, dass sie Jagd auf mich machen würden. Ich legte probehalber auf das armselige, zitternde Ding an, prüfte die Windrichtung und sah zu, wie sich das Licht der Sonne langsam verabschiedete. Der pseudo-sakrale Singsang der Degenerierten wurde allmählich lauter und bald schon sah ich Bewegung in den Schatten der Gebäude, die den Platz säumten. Die Hunde waren da. Noch hielten sie sich in den Schatten der Ruinen auf, schlichen argwöhnisch um die Menschen herum, aber bald schon würden sie die Lage ausreichend sondiert haben und dann würde sie der Angstgeruch des Mädchens zum Angriff bewegen. Durch das Zielfernrohr der Armbrust beobachtete ich das Kind, das die Hunde inzwischen auch entdeckt hatte und wimmernd und panisch versuchte, alle Bestien gleichzeitig im Blick zu behalten. Der lockere Kreis, den die Hunde jetzt bildeten, wurde enger und enger, und für meinen Schuss wollte ich den Moment abpassen, in dem das erste Tier zum Angriff überging. Ich bildete mir ein, das bösartige, hungrige Knurren der Tiere hören zu können. Wahrscheinlich hörte ich aber nichts, außer dem entfernten Singsang der elenden Kreaturen, die sich durch die Opferung des Mädchens Sicherheit vor den Bestien erkaufen wollten. Diesmal würde das wahrscheinlich sogar funktionieren, denn ich war nicht in der Lage mehr als acht der zottigen Kreaturen zu unterscheiden - und an dem Kind war genug Fleisch für sie alle. Dann passierte es. Das erste Tier, das größte, verließ seine Kreisbahn, das Mädchen schrie und riss sich an den Fesseln blutig, die Hunde heulten, bellten und knurrten, dann sprang das Alphamännchen und verbiss sich in die Knöchel des Mädchens. Der Schrei kippte ins Unerträgliche, als die zarte Haut aufplatzte und die Knochen zermalmt wurden. Das war genug Ablenkung. Ich drückte den Abzug. In der Dämmerung konnte ich die Flugbahn des Bolzens nicht mit den Augen verfolgen, aber eine halbe Sekunde, nachdem ich abgedrückt hatte, drang ein schreckliches Geräusch an mein Ohr. Leise und kaum wahrnehmbar unter dem Schreien, dem Bellen und dem Knurren - das Geräusch, das entsteht, wenn Metall auf Metall trifft. Ich hatte das Mädchen verfehlt und das Motorradwrack getroffen. Die Schreie kamen mir mit einem Mal doppelt so laut vor, und ich schlug die Hände über die Ohren, während ich hinter der Kühlerhaube zu Boden sank, den Rücken an den rostigen Radkasten gelehnt und von meinem eigenen Versagen paralysiert. Einen weiteren Schuss würde ich nicht wagen. Es schien mir wie eine Ewigkeit, die ich zusammengesunken hinter dem zerstörten Auto wartete und den schrecklich nassen und reißenden Geräuschen lauschen musste. Als ich wieder in der Lage war, mich aufzuraffen und diesen elenden Ort zu verlassen, blickte ich nicht zurück. Die Gesänge der Degenerierten hatten aufgehört, und alles was an meine Ohren drang, war das Geräusch des Windes. Ich schlich weg. Versager. Das war jetzt eine Woche her. Ich wachte immer noch Nacht für Nacht schweißgebadet auf und hatte dann die Geschehnisse jenes Abends erneut erlebt. Der Traum hatte mich auch heute aus dem Schlaf gerissen und ich setzte mich in meinem Schlafsack auf. Für einen Moment desorientiert, blickte ich mich um. Keine Hunde. Keine Degenerierten. Stattdessen beleuchtete trübes, frühes Morgenlicht das Schlafzimmer des Hauses, in dem ich mich für den Moment niedergelassen hatte. Mein Rucksack lehnte zusammen mit der Armbrust an der Wand und die Machete lag auf der unbenutzten Hälfte des breiten Ehebettes, das ich mir als Schlafplatz ausgesucht hatte. Ich war barfuß, trug nur meine schmutzstarrende Jeans, und der Rest meiner Kleidung bildete am Fußende des Bettes ein verworrenes Knäuel. Nach meinen jüngsten Erlebnissen mit den Degenerierten, die ihr Opfer an die Wildhunde darbrachten, war ich des Wanderns und Umherstreifens vorerst müde geworden. In einem Vorort von Frankfurt fand ich, am Ende einer Sackgasse, ein von einem hohen Zaun umschlossenes Haus. Die Eingangstür war dem Wendehammer zugewandt und auf der Rückseite schloss sich ein von hohen Bäumen bewachsener, verwilderter Park an. Von dem Schlafzimmer im ersten Stock aus konnte ich die Straße überblicken, was mir ein vages Gefühl von Sicherheit gab. Das Tor, das den etwas über mannshohen Zaun unterbrach, hatte ich mit einer Kette und einem Vorhängeschloss versehen und erlaubte mir deshalb, mich in der trügerischen Sicherheit etwas zu entspannen. Ich hatte noch Konserven für drei Tage und es war mir gelungen, einen Hasen zu schießen, der es irgendwie aus dem Park auf das eingezäunte Grundstück geschafft haben musste. Verschlafen schaute ich die Straße entlang. Vorne hatte ein verwittertes Schild «Mittlerer Hasenpfad» verkündet. Der Asphalt hatte Risse bekommen und es sprossen Farne, Gras und hier und da sogar ein junges Bäumchen hervor. Auch die Vorgärten der anderen Häuser waren verwildert, und, wie überall sonst auch, drängte die Natur mit unbändiger Kraft in die Überreste unserer so genannten Zivilisation. Mit einem Einwegfeuerzeug, von denen ich immer eine Handvoll dabei hatte, entzündete ich einen Gasbrenner und erhitzte etwas Wasser in einer Blechtasse, um mir einen Instantkaffee anzurühren. Früher hätte ich so eine Plörre niemals getrunken, aber inzwischen kam sie mir vor wie der größte Luxus. Während ich an dem Gebräu nippte, ließ ich meinen Blick über den wolkenverhangenen Himmel schweifen. Es war Herbst geworden. Später am Tag würde ich den Dachboden und den Keller auf nützliche Gegenstände untersuchen. Für den Moment aber blieb ich auf dem Bett sitzen und trank meinen Kaffee. Noch immer musste ich an die Hunde denken. Im selben Maße, wie die Flora nach vorne drängte und den Raum einnahm, den der Mensch so plötzlich und auf so schreckliche Weise freigegeben hatte, so sehr tat es auch die Fauna. Aber das war nicht das eigentliche Problem. Das Problem war, dass die Tiere in den wenigen Jahren nach dem großen Krieg ohne den Einfluss des Menschen sehr schnell zu ihrem archaischen Verhalten zurückgefunden hatten. Hunde lebten jetzt wieder in Rudeln und sie waren wieder Jäger geworden. Darüber hinaus hatte der simpelste aller Mechanismen eingesetzt. In unserer schönen neuen Welt wurden die Schwachen und die Kleinen gefressen oder mussten verhungern. Es gab also im Verhältnis zu den Menschen nicht nur deutliche mehr gefährliche Tiere als vorher, sondern es waren in der Regel auch richtig große Biester mit scharfen Zähnen, die bereit waren, für ihr Essen zu töten. Und so war es nicht nur mit den Hunden. Eine sehr ähnliche Entwicklung hatte auch bei den Menschen stattgefunden. Da, wo es noch einen Rest von zivilisiertem Verhalten gab, hatten sich die Überlebenden zu stammesartigen Sozialgefügen zusammengetan. Jedes dieser Gefüge hatte seine eigenen Regeln entwickelt, die oft auf dem Recht des Stärkeren fußten und wenn man als Fremder auf eine solche Gruppe traf, musste man höllisch aufpassen. Schon ein kleiner Streit konnte schnell in einem tödlichen Kampf enden. Es war besser, Menschen zu meiden. Menschen bedeuten Ärger. Selbst wenn diese noch versuchen sollten, ein Mindestmaß an Zivilisation aufrecht zu erhalten. Aber es gab auch noch andere. Die Degenerierten gehörten dazu. Degeneriert - so nannte ich jene Menschen, die so gut wie jedes Verhalten abgelegt hatten, das man vor dem Krieg als menschlich bezeichnet hatte. Ob diese Entwicklung durch unser kollektives Trauma verursacht worden war, oder ob diese Menschen sich schon immer näher an der Grenze zum Tierischen befunden hatten, und nun - in Abwesenheit von Recht und Gesetz - ihre Veranlagung ungehemmt ausleben konnten, das wusste ich nicht und es spielte auch keine große Rolle. Sie waren nicht viel mehr als Raubtiere, die in Gruppen umherzogen und stahlen, plünderten, mordeten und vergewaltigten, wo sie nur konnten. Meistens bestanden diese Gruppen aus Männern, hin und wieder waren aber auch Frauen dabei. Das Gefährliche und Widerliche an ihnen waren ihre Intelligenz und ihr Wille zu unnützer Grausamkeit. Die Versehrten waren eine andere Gruppe. Sie traf man dort an, wo Uranmunition in den Wänden steckte und biologische Kampfstoffe eingesetzt worden waren, oder dort, wo taktische Atombomben die großen Industrieanlagen in verseuchte Trümmerfelder verwandelt hatten. Viele von ihnen hatten fast nichts Menschliches mehr in ihrem Aussehen. Verwachsen, verkrebst, verstümmelt, ohne Zähne und von Krätze befallen, hatten auch sie sich in kleinen Gruppen zusammengefunden. Häufig lebten sie isoliert von den Gesunden, die nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten. Sei es aus Angst vor Ansteckung oder einfach nur aus angeborenem, instinktivem Ekel. Manche von ihnen waren durch ihr Leiden wahnsinnig geworden, mit anderen hatte ich allerdings auch schon Tauschhandel treiben können. Aber selbst ich war bei diesen Gelegenheiten darauf bedacht gewesen, jeglichen Körperkontakt zu vermeiden. Selbstschutz. Einmal hatte sich mir eine versehrte Frau angeboten, auf der Suche nach Schutz und etwas Gesellschaft. Ich könne mit ihr machen, was ich wolle, hatte sie gesagt, nur sie alleine lassen - das sollte ich nicht. Ich ließ sie allein und wanderte weiter. Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich dieses gigantische Schlachtfeld alleine durchstreifte. Es gab keinen Ort, an den ich wollte, keinen Menschen mehr, der mir wichtig war und kein großes Ziel, das ich verfolgte. Im Grunde hätte ich mich genau so gut selbst töten können, wie es schon so viele vor mir getan hatten. Vor allem in den ersten Jahren nach dem Krieg. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Ich zog die Jeans und die Unterhose aus und begann, mich mit einem Stück Seife und dem Rest des Wassers aus der Plastikflasche zu säubern. Jeden zweiten Tag besprühte ich mich großzügig mit Desinfektionsmittel, von dem ich drei kleine Flaschen aus einer halb eingestürzten Drogerie mitgenommen hatte. Da es keine medizinische Grundversorgung durch Ärzte und Krankenhäuser mehr gab, war es mehr als angeraten, auf die Hygiene zu achten. Eine Blase am Fuß konnte einem auf der Flucht zum Verhängnis werden, genauso wie ein Pilzbefall im Schritt. Ein entzündetes Ohr konnte der Grund dafür sein, dass man nicht hören konnte, wenn sich jemand oder etwas an einen heranschlich. Man musste einfach auf sich achten. Als ich fertig war, zog ich mich an. Zur Jeans kamen Socken, Lederstiefel und ein löchriges T-Shirt. Meine Machete nahm ich mit und den Rest meiner Habseligkeiten ließ ich im Schlafzimmer zurück, denn im Grunde rechnete ich hier nicht mit Ärger. Als ich das Haus erreicht hatte, todmüde und niedergeschlagen, hatte ich als erstes einen schnellen Blick in jedes der Zimmer geworfen, um mich davon zu überzeugen, dass auch wirklich niemand hier war. Die Tür zum Keller war fest verschlossen gewesen, deswegen hatte ich mich auch nicht weiter mit ihr befasst. Am Ende meiner Durchsuchung war ich im Schlafzimmer angekommen, hatte die Tür mit einem Stuhl blockiert und war schnell in einen erschöpften Schlaf gefallen. Jetzt ließ ich mir etwas mehr Zeit. Bei meiner Ankunft hatte ich nicht auf das Namensschild an der Tür geachtet, aber alles hier sah so aus, als wäre diese Familie vor dem Krieg recht wohlhabend gewesen. Man konnte es anhand der Einrichtung und dem Inhalt der Kleiderschränke erkennen. Küche und Wohnzimmer waren offen und großzügig angelegt und nur durch eine Theke voneinander getrennt. In einer Vorratskammer, die an den Eingangsbereich grenzte, fand ich noch einige Konserven mit akzeptablem Haltbarkeitsdatum, die ich neben der Eingangstür stapelte. Es gab im Erdgeschoss noch eine kleine Toilette und ein größeres Badezimmer. Dort fand ich, im Spiegelschränkchen über den Waschbecken, eine noch eingeschweißte Zahnbürste, ein Heftchen mit Pflastern und ein paar Rollen mit Verbandsmull. Ich stopfte meine Beute in die Taschen der Jeans und wandte mich der Kellertür zu. Sie war immer noch abgeschlossen. Ich tastete ein wenig herum, und tatsächlich - oben auf dem Türrahmen lag ein Schlüssel. Ich entriegelte das Schloss und öffnete, die Machete in meiner Rechten, die Tür. Lauschend starrte ich in die Dunkelheit. Mist. Dunkelheit. Ich schloss die Tür wieder hinter mir und begann Schubladen und Schränke zu durchwühlen, bis ich eine kleine Taschenlampe fand, die zu meinem großen Glück eine noch funktionsfähige Batterie ihr eigen nannte. Anderen Strom gab es nicht mehr, dafür hatte der Krieg gesorgt. Für einen kurzen Moment musste ich an all die Atomkraftwerke denken, die nun unbeaufsichtigt, düster und bedrohlich dastanden und eine stumme, ungreifbare Gefahr für alles darstellten, was von der Welt noch übrig war. Ich konnte es nicht ändern, also schob ich den Gedanken wieder von mir. Mit der kleinen Taschenlampe fühlte ich mich schon deutlich sicherer, als ich in den Keller hinabstieg. Unten angekommen, war ich sogleich erfreut. Im Raum rechts von mir befand sich eine gut ausgestattete Werkstatt. Arbeitsplatte, Schraubstock, diverses, inzwischen unnützes Elektrowerkzeug. Die Wand hing voll mit Hämmern, Feilen und Sägen und in den Schubladen gab es tausenderlei Nägel, Schrauben und Muttern. Alles war leicht chaotisch. Hierher hatte sich der Herr des Hauses zum entspannten Basteln zurückgezogen. Diese Annahme wurde durch einen halbvollen Kasten Becks bestätigt, der in einer Ecke auf dem Boden stand. Ich ließ den Strahl der Taschenlampe weiter wandern. Hinter der Tür waren einige Holzstücke gelagert, darunter ein paar Rundstäbe, aus denen ich mir Bolzen für die Armbrust fertigen wollte. Es gab noch einen weiteren Raum, der, abgesehen von Wäscheleinen, Waschmaschine und Trockner leer war und den Heizungsraum, der auch nichts mehr von Nutzen beherbergte. Ich nahm mir eine Flasche Bier aus dem Kasten und verließ den Keller wieder. Oben angekommen, an der Theke zwischen Wohnzimmer und Küche, öffnete ich die Flasche an der Kante und nahm einen tiefen Schluck. In diesem Moment fühlte ich mich fast glücklich. Dann ließ ich vor Schreck beinahe die Flasche fallen. Jemand schlich geduckt am Zaun entlang. Zuerst lediglich ein Schemen am Rand meines Sichtfelds, dann erkannte ich, dass es ein Degenerierter war.
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about

Für alle, die erst jetzt auf NACHWELT 2018 stoßen:

NACHWELT 2018 ist eine Endzeit-Reihe, die vorallem Fans von Stalker, den Metro-Büchern von Dmitri Gluchowski, Tagebuch der Apokalypse, The Last Of Us und anderem im postapokalyptischen Genre gefallen dürften. Die Story ist also nicht unbedingt etwas für zartbesaitete. Ich denke "Game of Thrones" ist ein ganz guter Vergleichswert, was den Härtegrad angeht.:-)

Warum ist dieses Album kostenlos?

Das hat natürlich einen Grund, und der lautet wie folgt:

Vor sechs Jahren habe ich angefangen, alle 2 Wochen ein Kapitel von NACHWELT 2018 ( heißt übrigens so, weil ich 2018 fertig sein wollte ... tja ...war wohl nix ... ;-) ) aufzunehmen und auf Youtube hochzuladen. Es gab keinen Masterplan. Ich habe mich mehr oder weniger von Kapitel zu Kapitel gehangelt. Das hat sich gegen Ende der Geschichte hin geändert, aber auf jeden Fall konnte man der Geschichte auf Youtube mehr oder weniger in Echtzeit beim "wachsen" zusehen. Einige der Aufnahmen stammen also noch aus dem Jahr 2014 und heute bin ich nicht mehr so ganz zufrieden mit ihnen. So, wie ich die Sache sehe, müsste ich einiges neu aufnehmen, um guten Gewissens Geld dafür zu verlangen. Dass allerdings heißt nicht, dass die Story nichts wert ist. Immerhin bekommt man hier 65 Stunden spannende Unterhaltung geboten, die durchaus ihre Fans gefunden hat.

Sollte Dir die Story also etwas wert sein, darfst Du gerne einen kleinen Betrag für diesen Download entrichten. Würde mich sehr freuen.

Inzwischen gibt es NACHWELT 2018 auch als eBook für den Kindle und als Taschenbuch auf Amazon. Sollte Dir also meine Stimme nicht gefallen, oder meine Art zu Lesen, kannst
Du trotzdem in die Endzeit eintauchen. Einfach auf Amazon suchen - leider erlaubt Bandcamp keine direkte Verlinkung.

Ich wünsche ganz viel Spaß und gute Unterhaltung. :-)

Georg Bruckmann

credits

released May 22, 2020

Sie hatten das Mädchen an einem alten Motorradwrack angebunden, etwa fünfzig Meter von ihrem Zeltlager entfernt.
Die Degenerierten standen in einem respektvollen Abstand im Halbkreis um ihre Opfergabe herum. Es mussten so um die fünfzehn der zerfledderten Gestalten sein und weiter hinten, hinter den Bewaffneten, hockten noch mehr Menschen auf dem Boden.
Gefangene.
Das schmutzig-blonde Haar des Mädchens hing ihm ins Gesicht und den Kopf hatte es gesenkt. Es hatte aufgegeben, sich zu wehren. Zwei der Degenerierten hatten es, unter dem rhythmischen Singsang der anderen zu dem Motorrad gezerrt und es dort festgemacht. Da hatte es sich noch gewehrt. Auch nachdem man es angebunden hatte, hatte es noch eine Weile geschrien und an den Stricken gezerrt, aber jetzt schien es aufgegeben zu haben und ließ die verheulten Augen ängstlich hin und her schweifen.
Es wartete.
Sie alle warteten.
Sie warteten auf die Abenddämmerung.
Auf die Dämmerung, mit der die Hunde kamen.
Ich blickte hoch zum Himmel. Die Sonne befand sich bereits seit einer Weile auf dem Rückzug und bald würde sie ganz untergegangen sein.
Ich überprüfte meine Ausrüstung. Für die Armbrust hatte ich nur noch vier Bolzen, und dann war da noch die Machete, die ich vor zwei Tagen aus einem Baumarkt mitgenommen hatte. An meinem Gürtel hatte ich noch eines dieser billigen Survival-Messer mit Kompass und Angelzeug im hohlen Plastikgriff, aber das Ding konnte man schwerlich als Waffe bezeichnen. Resigniert atmete ich aus. Nein, ich würde nichts für das Mädchen tun können. Selbst wenn es mir gelingen würde, das Mädchen zu befreien - was sollte ich denn mit dem Kind anfangen?
Ich konnte es nicht mitnehmen und alleine würde es früher oder später ohnehin bald verrecken. Ich traf meine Entscheidung, ließ mich hinter das ausgebrannte Auto sinken, über dessen Kühlerhaube ich gespäht hatte und spannte die Armbrust.
Während ich den Bolzen einlegte, dachte ich nach. Ich musste warten, bis die Hunde wirklich aus den Kellern und Häuserschluchten herauskämen, um sich das Mädchen zu holen und so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Falls die Degenerierten meinen Schuss bemerken sollten, war es mehr als wahrscheinlich, dass sie Jagd auf mich machen würden.
Ich legte probehalber auf das armselige, zitternde Ding an, prüfte die Windrichtung und sah zu, wie sich das Licht der Sonne langsam verabschiedete. Der pseudo-sakrale Singsang der Degenerierten wurde allmählich lauter und bald schon sah ich Bewegung in den Schatten der Gebäude, die den Platz säumten.
Die Hunde waren da.
Noch hielten sie sich in den Schatten der Ruinen auf, schlichen argwöhnisch um die Menschen herum, aber bald schon würden sie die Lage ausreichend sondiert haben und dann würde sie der Angstgeruch des Mädchens zum Angriff bewegen.
Durch das Zielfernrohr der Armbrust beobachtete ich das Kind, das die Hunde inzwischen auch entdeckt hatte und wimmernd und panisch versuchte, alle Bestien gleichzeitig im Blick zu behalten.
Der lockere Kreis, den die Hunde jetzt bildeten, wurde enger und enger, und für meinen Schuss wollte ich den Moment abpassen, in dem das erste Tier zum Angriff überging. Ich bildete mir ein, das bösartige, hungrige Knurren der Tiere hören zu können.
Wahrscheinlich hörte ich aber nichts, außer dem entfernten Singsang der elenden Kreaturen, die sich durch die Opferung des Mädchens Sicherheit vor den Bestien erkaufen wollten.
Diesmal würde das wahrscheinlich sogar funktionieren, denn ich war nicht in der Lage mehr als acht der zottigen Kreaturen zu unterscheiden - und an dem Kind war genug Fleisch für sie alle.
Dann passierte es.
Das erste Tier, das größte, verließ seine Kreisbahn, das Mädchen schrie und riss sich an den Fesseln blutig, die Hunde heulten, bellten und knurrten, dann sprang das Alphamännchen und verbiss sich in die Knöchel des Mädchens. Der Schrei kippte ins Unerträgliche, als die zarte Haut aufplatzte und die Knochen zermalmt wurden.
Das war genug Ablenkung.
Ich drückte den Abzug.

In der Dämmerung konnte ich die Flugbahn des Bolzens nicht mit den Augen verfolgen, aber eine halbe Sekunde, nachdem ich abgedrückt hatte, drang ein schreckliches Geräusch an mein Ohr. Leise und kaum wahrnehmbar unter dem Schreien, dem Bellen und dem Knurren - das Geräusch, das entsteht, wenn Metall auf Metall trifft.
Ich hatte das Mädchen verfehlt und das Motorradwrack getroffen.
Die Schreie kamen mir mit einem Mal doppelt so laut vor, und ich schlug die Hände über die Ohren, während ich hinter der Kühlerhaube zu Boden sank, den Rücken an den rostigen Radkasten gelehnt und von meinem eigenen Versagen paralysiert. Einen weiteren Schuss würde ich nicht wagen.
Es schien mir wie eine Ewigkeit, die ich zusammengesunken hinter dem zerstörten Auto wartete und den schrecklich nassen und reißenden Geräuschen lauschen musste.
Als ich wieder in der Lage war, mich aufzuraffen und diesen elenden Ort zu verlassen, blickte ich nicht zurück.
Die Gesänge der Degenerierten hatten aufgehört, und alles was an meine Ohren drang, war das Geräusch des Windes.
Ich schlich weg.
Versager.


Das war jetzt eine Woche her. Ich wachte immer noch Nacht für Nacht schweißgebadet auf und hatte dann die Geschehnisse jenes Abends erneut erlebt. Der Traum hatte mich auch heute aus dem Schlaf gerissen und ich setzte mich in meinem Schlafsack auf. Für einen Moment desorientiert, blickte ich mich um.
Keine Hunde.
Keine Degenerierten.
Stattdessen beleuchtete trübes, frühes Morgenlicht das Schlafzimmer des Hauses, in dem ich mich für den Moment niedergelassen hatte. Mein Rucksack lehnte zusammen mit der Armbrust an der Wand und die Machete lag auf der unbenutzten Hälfte des breiten Ehebettes, das ich mir als Schlafplatz ausgesucht hatte.
Ich war barfuß, trug nur meine schmutzstarrende Jeans, und der Rest meiner Kleidung bildete am Fußende des Bettes ein verworrenes Knäuel. Nach meinen jüngsten Erlebnissen mit den Degenerierten, die ihr Opfer an die Wildhunde darbrachten, war ich des Wanderns und Umherstreifens vorerst müde geworden.
In einem Vorort von Frankfurt fand ich, am Ende einer Sackgasse, ein von einem hohen Zaun umschlossenes Haus. Die Eingangstür war dem Wendehammer zugewandt und auf der Rückseite schloss sich ein von hohen Bäumen bewachsener, verwilderter Park an. Von dem Schlafzimmer im ersten Stock aus konnte ich die Straße überblicken, was mir ein vages Gefühl von Sicherheit gab.
Das Tor, das den etwas über mannshohen Zaun unterbrach, hatte ich mit einer Kette und einem Vorhängeschloss versehen und erlaubte mir deshalb, mich in der trügerischen Sicherheit etwas zu entspannen.
Ich hatte noch Konserven für drei Tage und es war mir gelungen, einen Hasen zu schießen, der es irgendwie aus dem Park auf das eingezäunte Grundstück geschafft haben musste.
Verschlafen schaute ich die Straße entlang. Vorne hatte ein verwittertes Schild «Mittlerer Hasenpfad» verkündet. Der Asphalt hatte Risse bekommen und es sprossen Farne, Gras und hier und da sogar ein junges Bäumchen hervor. Auch die Vorgärten der anderen Häuser waren verwildert, und, wie überall sonst auch, drängte die Natur mit unbändiger Kraft in die Überreste unserer so genannten Zivilisation.
Mit einem Einwegfeuerzeug, von denen ich immer eine Handvoll dabei hatte, entzündete ich einen Gasbrenner und erhitzte etwas Wasser in einer Blechtasse, um mir einen Instantkaffee anzurühren. Früher hätte ich so eine Plörre niemals getrunken, aber inzwischen kam sie mir vor wie der größte Luxus. Während ich an dem Gebräu nippte, ließ ich meinen Blick über den wolkenverhangenen Himmel schweifen.
Es war Herbst geworden.
Später am Tag würde ich den Dachboden und den Keller auf nützliche Gegenstände untersuchen. Für den Moment aber blieb ich auf dem Bett sitzen und trank meinen Kaffee. Noch immer musste ich an die Hunde denken. Im selben Maße, wie die Flora nach vorne drängte und den Raum einnahm, den der Mensch so plötzlich und auf so schreckliche Weise freigegeben hatte, so sehr tat es auch die Fauna.
Aber das war nicht das eigentliche Problem. Das Problem war, dass die Tiere in den wenigen Jahren nach dem großen Krieg ohne den Einfluss des Menschen sehr schnell zu ihrem archaischen Verhalten zurückgefunden hatten. Hunde lebten jetzt wieder in Rudeln und sie waren wieder Jäger geworden. Darüber hinaus hatte der simpelste aller Mechanismen eingesetzt. In unserer schönen neuen Welt wurden die Schwachen und die Kleinen gefressen oder mussten verhungern. Es gab also im Verhältnis zu den Menschen nicht nur deutliche mehr gefährliche Tiere als vorher, sondern es waren in der Regel auch richtig große Biester mit scharfen Zähnen, die bereit waren, für ihr Essen zu töten.
Und so war es nicht nur mit den Hunden.
Eine sehr ähnliche Entwicklung hatte auch bei den Menschen stattgefunden. Da, wo es noch einen Rest von zivilisiertem Verhalten gab, hatten sich die Überlebenden zu stammesartigen Sozialgefügen zusammengetan. Jedes dieser Gefüge hatte seine eigenen Regeln entwickelt, die oft auf dem Recht des Stärkeren fußten und wenn man als Fremder auf eine solche Gruppe traf, musste man höllisch aufpassen.
Schon ein kleiner Streit konnte schnell in einem tödlichen Kampf enden. Es war besser, Menschen zu meiden. Menschen bedeuten Ärger. Selbst wenn diese noch versuchen sollten, ein Mindestmaß an Zivilisation aufrecht zu erhalten.
Aber es gab auch noch andere. Die Degenerierten gehörten dazu. Degeneriert - so nannte ich jene Menschen, die so gut wie jedes Verhalten abgelegt hatten, das man vor dem Krieg als menschlich bezeichnet hatte.
Ob diese Entwicklung durch unser kollektives Trauma verursacht worden war, oder ob diese Menschen sich schon immer näher an der Grenze zum Tierischen befunden hatten, und nun - in Abwesenheit von Recht und Gesetz - ihre Veranlagung ungehemmt ausleben konnten, das wusste ich nicht und es spielte auch keine große Rolle.
Sie waren nicht viel mehr als Raubtiere, die in Gruppen umherzogen und stahlen, plünderten, mordeten und vergewaltigten, wo sie nur konnten. Meistens bestanden diese Gruppen aus Männern, hin und wieder waren aber auch Frauen dabei. Das Gefährliche und Widerliche an ihnen waren ihre Intelligenz und ihr Wille zu unnützer Grausamkeit. Die Versehrten waren eine andere Gruppe. Sie traf man dort an, wo Uranmunition in den Wänden steckte und biologische Kampfstoffe eingesetzt worden waren, oder dort, wo taktische Atombomben die großen Industrieanlagen in verseuchte Trümmerfelder verwandelt hatten.
Viele von ihnen hatten fast nichts Menschliches mehr in ihrem Aussehen. Verwachsen, verkrebst, verstümmelt, ohne Zähne und von Krätze befallen, hatten auch sie sich in kleinen Gruppen zusammengefunden. Häufig lebten sie isoliert von den Gesunden, die nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten. Sei es aus Angst vor Ansteckung oder einfach nur aus angeborenem, instinktivem Ekel. Manche von ihnen waren durch ihr Leiden wahnsinnig geworden, mit anderen hatte ich allerdings auch schon Tauschhandel treiben können. Aber selbst ich war bei diesen Gelegenheiten darauf bedacht gewesen, jeglichen Körperkontakt zu vermeiden. Selbstschutz. Einmal hatte sich mir eine versehrte Frau angeboten, auf der Suche nach Schutz und etwas Gesellschaft. Ich könne mit ihr machen, was ich wolle, hatte sie gesagt, nur sie alleine lassen - das sollte ich nicht.
Ich ließ sie allein und wanderte weiter.
Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich dieses gigantische Schlachtfeld alleine durchstreifte. Es gab keinen Ort, an den ich wollte, keinen Menschen mehr, der mir wichtig war und kein großes Ziel, das ich verfolgte. Im Grunde hätte ich mich genau so gut selbst töten können, wie es schon so viele vor mir getan hatten. Vor allem in den ersten Jahren nach dem Krieg.
Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Ich zog die Jeans und die Unterhose aus und begann, mich mit einem Stück Seife und dem Rest des Wassers aus der Plastikflasche zu säubern. Jeden zweiten Tag besprühte ich mich großzügig mit Desinfektionsmittel, von dem ich drei kleine Flaschen aus einer halb eingestürzten Drogerie mitgenommen hatte. Da es keine medizinische Grundversorgung durch Ärzte und Krankenhäuser mehr gab, war es mehr als angeraten, auf die Hygiene zu achten. Eine Blase am Fuß konnte einem auf der Flucht zum Verhängnis werden, genauso wie ein Pilzbefall im Schritt. Ein entzündetes Ohr konnte der Grund dafür sein, dass man nicht hören konnte, wenn sich jemand oder etwas an einen heranschlich.
Man musste einfach auf sich achten.
Als ich fertig war, zog ich mich an. Zur Jeans kamen Socken, Lederstiefel und ein löchriges T-Shirt. Meine Machete nahm ich mit und den Rest meiner Habseligkeiten ließ ich im Schlafzimmer zurück, denn im Grunde rechnete ich hier nicht mit Ärger.
Als ich das Haus erreicht hatte, todmüde und niedergeschlagen, hatte ich als erstes einen schnellen Blick in jedes der Zimmer geworfen, um mich davon zu überzeugen, dass auch wirklich niemand hier war. Die Tür zum Keller war fest verschlossen gewesen, deswegen hatte ich mich auch nicht weiter mit ihr befasst.
Am Ende meiner Durchsuchung war ich im Schlafzimmer angekommen, hatte die Tür mit einem Stuhl blockiert und war schnell in einen erschöpften Schlaf gefallen. Jetzt ließ ich mir etwas mehr Zeit. Bei meiner Ankunft hatte ich nicht auf das Namensschild an der Tür geachtet, aber alles hier sah so aus, als wäre diese Familie vor dem Krieg recht wohlhabend gewesen. Man konnte es anhand der Einrichtung und dem Inhalt der Kleiderschränke erkennen. Küche und Wohnzimmer waren offen und großzügig angelegt und nur durch eine Theke voneinander getrennt. In einer Vorratskammer, die an den Eingangsbereich grenzte, fand ich noch einige Konserven mit akzeptablem Haltbarkeitsdatum, die ich neben der Eingangstür stapelte. Es gab im Erdgeschoss noch eine kleine Toilette und ein größeres Badezimmer. Dort fand ich, im Spiegelschränkchen über den Waschbecken, eine noch eingeschweißte Zahnbürste, ein Heftchen mit Pflastern und ein paar Rollen mit Verbandsmull. Ich stopfte meine Beute in die Taschen der Jeans und wandte mich der Kellertür zu. Sie war immer noch abgeschlossen. Ich tastete ein wenig herum, und tatsächlich - oben auf dem Türrahmen lag ein Schlüssel.
Ich entriegelte das Schloss und öffnete, die Machete in meiner Rechten, die Tür. Lauschend starrte ich in die Dunkelheit.
Mist.
Dunkelheit.
Ich schloss die Tür wieder hinter mir und begann Schubladen und Schränke zu durchwühlen, bis ich eine kleine Taschenlampe fand, die zu meinem großen Glück eine noch funktionsfähige Batterie ihr eigen nannte. Anderen Strom gab es nicht mehr, dafür hatte der Krieg gesorgt. Für einen kurzen Moment musste ich an all die Atomkraftwerke denken, die nun unbeaufsichtigt, düster und bedrohlich dastanden und eine stumme, ungreifbare Gefahr für alles darstellten, was von der Welt noch übrig war. Ich konnte es nicht ändern, also schob ich den Gedanken wieder von mir.
Mit der kleinen Taschenlampe fühlte ich mich schon deutlich sicherer, als ich in den Keller hinabstieg. Unten angekommen, war ich sogleich erfreut. Im Raum rechts von mir befand sich eine gut ausgestattete Werkstatt. Arbeitsplatte, Schraubstock, diverses, inzwischen unnützes Elektrowerkzeug. Die Wand hing voll mit Hämmern, Feilen und Sägen und in den Schubladen gab es tausenderlei Nägel, Schrauben und Muttern. Alles war leicht chaotisch. Hierher hatte sich der Herr des Hauses zum entspannten Basteln zurückgezogen. Diese Annahme wurde durch einen halbvollen Kasten Becks bestätigt, der in einer Ecke auf dem Boden stand. Ich ließ den Strahl der Taschenlampe weiter wandern. Hinter der Tür waren einige Holzstücke gelagert, darunter ein paar Rundstäbe, aus denen ich mir Bolzen für die Armbrust fertigen wollte. Es gab noch einen weiteren Raum, der, abgesehen von Wäscheleinen, Waschmaschine und Trockner leer war und den Heizungsraum, der auch nichts mehr von Nutzen beherbergte. Ich nahm mir eine Flasche Bier aus dem Kasten und verließ den Keller wieder.
Oben angekommen, an der Theke zwischen Wohnzimmer und Küche, öffnete ich die Flasche an der Kante und nahm einen tiefen Schluck. In diesem Moment fühlte ich mich fast glücklich.
Dann ließ ich vor Schreck beinahe die Flasche fallen.
Jemand schlich geduckt am Zaun entlang. Zuerst lediglich ein Schemen am Rand meines Sichtfelds, dann erkannte ich, dass es ein Degenerierter war.

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